“Wir ringen permanent um innovative Lösungen“

“Grün denken – innovativ handeln – sicher fahren”, das ist das Motto der Daimler AG, zu der auch Mercedes-Benz Brasilien gehört. Als Vorreiter der Automobilindustrie bereitet der Konzern sich auf die Zeit nach dem Erdöl vor. Elektromotoren, Hybridfahrzeuge und Kraftstoffzellen sind die innovativen Angebote, die von Daimlers Forschern zur Zeit weiterentwickelt werden.


Lesen Sie dazu das Interview mit Dr. Walter Sladek, Leiter Entwicklung und Aggregate Brasilien und promovierter Ingenieur.


BRASILALEMANHA: Wie funktioniert der Innovationsprozess für neue Technologien bei Mercedes-Benz global und speziell in Brasilien?


Dr. Sladek : Grundlegend neue Technologien haben ihren Ursprung häufig in der Forschung oder Vorentwicklung von Daimler Trucks. Ausgelöst werden können solche Forschungsbeauftragungen einerseits durch den Gesetzgeber (z.B. neue Abgasnormen) oder durch den Markt selbst. Sobald die grundsätzliche Tauglichkeit einer neuen Techonolgie nachgewiesen ist, wird sie zur Serienreife weiterentwickelt.


In Brasilien haben wir keine eigene Vorentwicklung. Entweder nutzen wir die Ergebnisse aus Deutschland zur Weiterentwicklung oder beginnen den Innovationsprozess direkt in unserer Serienentwicklungsmannschaft.


BRASILALEMANHA: Können Sie erklären, wie Ihr Verantwortungsbereich funktioniert und welche Ihre wesentlichen Aufgaben sind?


Dr. Sladek : Eine wesentliche Säule der Strategie von Daimler Trucks ist die Nutzung von weltweiten Synergien, die Verwendung von gemeinsamen Komponenten und Produkten (Commonality). Es gilt dabei zu beachten, dass die Markenidentitäten, die regional durchaus unterschiedlich ausgeprägt sein können, nicht verwässern. Ein Freightliner in den USA wird immer aussehen wie ein Freightliner, ein japanischer FUSO wie ein FUSO und ein Mercedes wie ein Mercedes, – aber der Motor beispielsweise könnte weltweit konzeptionell gleich sein.


Um diese Strategie effizient umzusetzen, arbeiten die weltweiten Entwicklungen mit Standorten in den USA, Brasilien, Deutschland, Türkei und Japan sehr eng zusammen.


Als Verantwortlicher des brasilianischen Standortes mit seiner LKW- und Aggregateentwicklung ist es meine wesentlichen Aufgabe, unseren Kunden das hinsichtlich Zuverlässigkeit und Qualität optimale Produkt für den jeweiligen Anwendungsfall zu bieten und dabei den Level an Gleichteilen möglichst hoch zu halten. Da sich die Anwendungsfälle und Beanspruchungen in Latein-Amerika zum Teil erheblich von den europäischen unterscheiden, sind mitunter erhebliche Adaptionsentwicklungen notwendig, um den hohen Ansprüchen unserer Kunden gerecht zu werden.


BRASILALEMANHA: Gibt es in der brasilianischen Entwicklung innovative R&D Tätigkeiten oder konzentrieren sich diese Aktivitäten auf den deutschen Standort?


Dr. Sladek: Im globalen Entwicklungsnetzwerk kommt dem deutschen Standort zweiffellos eine besondere Rolle zu, da er als „Center of Competence“ geführt wird. Hier finden alle wesentlichen Basisentwicklungen zu mittleren und schweren Frontlenkerfahrzeugen statt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich die Innovationen nur auf diesen Standort konzentrieren.


Eines der wichtigsten Attribute unserer Marke Mercedes-Benz in Brasilien ist Robustheit. Wir besitzen wegen unserer einzigartigen Kundenapplikation (härtester Mineneinsatz, Zuckerrohr, Holzindustrie) gute Kompetenzen in Sachen Dauerhaltbarkeit und Geländegängigkeit. Diese extremen Produktanforderungen testen wir intensiv auf unseren Teststrecken und Hydropulsanlagen, für das wir im globalen Entwicklungsverbund von Daimler Trucks das entsprechende „Center of Competence“ sind. Diese Testanlage ist übrigens die grösste seiner Art in Latein-Amerika.


Auch bei Biokraftstoffen können wir in Brasilien auf ausgezeichnete Kompetenzen zurückgreifen.


Ferner nutzen wir in unserem weltweiten Entwicklungsverbund effizient die verfügbaren Ressourcen. Zur Zeit arbeiten wir von Brasilien aus an einem internationalen Fahrzeugprojekt, für das wir in der Fahrerhaus- und Chassisentwicklung die Gesamtverantwortung tragen.


BRASILALEMANHA: Ist es möglich, die Mitarbeiter hinsichtlich Innovationen und Kreativität zu trainieren?


Dr. Sladek : Die sich ständig ändernden Markt- und Kundenanforderungen zwingen uns förmlich dazu, permanent nach kreativen und innovativen Lösungen zu suchen. Dabei kann ein neues Schraubkonzept ebenso kreativ oder innovativ sein wie beispielsweise eine konzeptionell komplett neue Fahrerhauslagerung oder Luftansaugung.


Innovation bedeutet in meinen Augen auch, bestehende Lösungen in Frage zu stellen und nach kostengünstigeren, aber qualitativ gleichwertigen Lösungen zu suchen. Das erfordert jedoch ein konsequentes „out-of-the-box“ Denken. Auch wenn es mitunter mühsam erscheint, neue Wege zu beschreiten, so ist es meiner Ansicht nach die einzige Möglichkeit, langfristig erfolgreich zu sein.


Über Benchmarkanalysen und Perspektivenwechsel, aber auch durch regelmässige Job-Rotationen der Mitarbeiter (innerhalb des Entwicklungsverbundes) kann diese Denkweise meines Erachtens durchaus trainiert werden.


BRASILALEMANHA: . Erfordert der brasilianische Markt Anpassungen in den Technologien, die in Deutschland entwickelt wurden?


Dr. Sladek: Ja, durchaus. Dies hat wieder mit den jeweiligen Kundenapplikationen und Einsatzprofilen zu tun, die sich von den europäischen zum Teil deutlich unterscheiden. Die Infrastruktur und das Straßennetz in Europa sind beispielsweise sehr gut ausgebaut. Die Fahrzeuge können im Sinne eines optimalen Kraftstoffverbrauchs sehr „leicht“ ausgeführt werden.


Dagegen gibt es in Brasilien noch einen etwa 90-prozentigen Erdstraßenanteil mit hohen Verwindungsanteilen und Schlaglöchern. Außerdem werden die Fahrzeuge im Minen-, Holz- oder Zuckerrohreinsatz zum Teil extrem beladen. Die Belastungen auf das Fahrzeug sind folglich wesentlich höher und erfordern u.a. Verstärkungen an Rahmen und Federungen.


BRASILALEMANHA: Welcher Anteil der Investitionen in Brasilien ist für Innovationen gedacht?


Dr. Sladek: Innovationsführerschaft ist ein weiterer wichtiger Erfolgsfaktor für Mercedes-Benz, daher investieren wir sehr viel in Innovationen und neue Technologien. Für neue Projekte werden wir allein in Brasilien in den kommenden Jahren etwa 250 MR$ ausgeben.


BRASILALEMANHA: Was sind die Besonderheiten des brasiliansichen Marktes im Vergleich zu Deutschland hinsichtlich Innovationen und neuen Technologien?


Dr. Sladek : Mir ist beispielsweise kein Land der Erde bekannt, in dem alternative Kraftstoffe – sei es Ethanol, Biodiesel oder Gas – eine so große Rolle spielen wie in Brasilien.


Desweiteren gibt es lokale Gesetze, die mit keiner Technologie eines anderen Entwicklungsstandortes bedient werden können, wie z.B. das Trackingsystem inkl. Wegfahrsperre.


BRASILALEMANHA: Mercedes-Benz ist der Technologieführer für LKW und für – Entwicklungen bezüglich alternativer Kraftstoffe. Können Sie die Untersuchungen im Falle des Zuckerrohrdiesels kommentieren?


Dr. Sladek : Die Untersuchungen, die wir mit dem Dieselkraftstoff aus Zuckerrohr durchgeführt haben, sind sehr vielversprechend. Die Leistungsdaten der Motoren sind nahezu identisch mit denen, die wir aus Messungen mit herkömmlichem Diesel gewonnen haben. Den Gesamtwirkungsgrad schätzen wir deutlich höher ein als beispielsweise Ethanol.


Der größte Vorteil aber ist, daß die Hardware des Motors völlig unverändert bleiben kann, sodaß der Kunde sowohl herkömmlichen als auch Diesel aus Zuckerrohr tanken kann. Zur Zeit laufen mehrere Fahrzeugtests, um die Alltagstauglichkeit sicherzustellen. Performance und Kraftstoffverbrauch sind absolut vergleichbar.


BRASILALEMANHA: Gibt es schon irgendwelche Werke oder Labore, die sich entschieden haben, alternative Kraftstoffe auf den brasilianischen Markt zu bringen?


Dr. Sladek : Ja, bezüglich des Diesels aus Zuckerrohr wissen wir, dass ein Hersteller, mit dem wir unsere Erprobungen durchführen, in Kürze aus dem Laborstadium in die Produktion gehen will.


BRASILALEMANHA: Ein innovatives Produkt, das heute in Serie geht, wurde vor vielen Jahren entwickelt und designed. Aber heutzutage ändern sich die Marktanforderungen in einer schier unglaublichen Geschwindigkeit. Zur Zeit durchdringt die Nachhaltigkeitsfrage viele Diskussionen zu Innovationen. Wäre es gegenwärtig möglich vorherzusagen, wie der zukünftige Markt aussehen könnte, etwa in 50 bis 100 Jahren?


Dr. Sladek : Eine gute Frage. Könnte ich sie richtig beantworten, würde ich Lotto spielen. Daß wir in Sachen Mobilität wegen der begrenzten Verfügbarkeit von fossilien Energieträgern neue Wege beschreiten müssen, ist sicherlich unstrittig.


Ein erster Schritt ist gewiß die aktuellen Technologien weiter zu optimieren und den Verbrauch unserer Fahrzeuge kontinuierlich zu senken.


Ein nächster Schritt könnte die Hybridtechnologie sein, die ich persönlich als Übergangstechnologie sehe.


Ein Weg hin zu Antrieben auf Wasserstoffbasis halte ich für den wahrscheinlichsten, wobei sich der Zeitrahmen wohl eher auf die nächsten 15-20 Jahre erstreckt. Eine Voraussage für die nächsten 50-100 Jahre ist schwierig. Dazu bräuchte ich wohl eine Glaskugel.


 

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